vor 1847

1847

1900

1929

1957

1972

1998

1999

 
Das massstabgetreue Modell des Badener Bahnhofes von Jürg Raidt, Baden

Fotos: Alex Spichale, Baden


Güterschuppen exakt nachkonstruiert Bahnhof Baden
Ein überzeugter Modellbauer rekonstruiert die Badener Eisenbahn-Vergangenheit

Er ist Rechtsanwalt und ein Eisenbahnnarr. Jetzt ist sein neustes Werk vollendet: In perfektem Eigenbau hat er den im September 1998 abgebrochenen Güterschuppens im modellbahngerecht verkleinerten Massstab von 1:87 nachgebaut und damit sein mehrteilige Sammlung der Badener Bahnhofgebäude ergänzt.

Ruedi Wanner (Aargauer Zeitung, 15.2.2000)

Dem renovierten gelben Haus an der Seminarstrasse, an der Stadtgrenze Baden/Wettingen gelegen, sieht man nicht an, was sich drinnen tut. Zwar weist der Torbogen, der aus dem Abbruch des Bahnhofes Turgi stammt, bereits im Garten auf einen historisch interessierten Eisenbahnfreund hin. Weitere Überraschungen folgen auf Schritt und Tritt. Über die erfolgreiche Rekonstruktion des Bahnhofes Baden - ältester Bahnhof der Schweiz - wurde bereits früher berichtet. Nach dreijähriger intensiver Aufbauarbeit ist nun kürzlich auch das Modell des Güterschuppens fertig erstellt. Die dazu verwendeten Arbeitsstunden dürfen für die Ausübung eines Hobbys nicht gerechnet werden, sind aber bestimmt sehr zahlreich. Umgekehrt dazu verhalten sich die Materialkosten, denn vorwiegend und so weit als immer möglich wird Abfallmaterial aller Art verwendet.

Bahnhof mit «Abtritt»

Die gesamte projektierte Modellanlage des Bahnhofes misst in der Längenausdehnung rund neun Meter. Sie zeigt den Zustand des Badener Bahnhofes, wie er mehrheitlich bis 1970 (Umbau des Bahnhofplatzes samt zweistöckigem Parkhaus und Metro Shop) zu sehen war. Seit der letzten Präsentation wurde noch das kleine Gebäude mit dem so genannten «Abtritt» modellmässig angefertigt. Es befand sich nördlich des eigentlichen Bahnhofs an der Stelle des heutigen SBB-Billettverkaufs-Provisoriums. Im Untergeschoss war die Waschküche für die beiden Dienstwohnungen (Bahnhofvorstand und sein Stellvertreter) untergebracht - ein Zustand, den sich heutzutags Wohnungsmieter nicht mehr bieten liessen. Bemerkenswert ist die filigrane Gestaltung der Geländer zu den Treppen der Unterführungen, auch hier massstabgetreu und perfekt nachgebildet aus dem Draht eines alten Velodynamos. Es ist zu hoffen, dass der engagierte Badener Bahnhof-Bastler wenigstens teilweise in den Besitz des Original-Geländers kommen darf, wie ihm dies seinerzeit von der Bauherrschaft versprochen wurde.
Auch die im Bezugsjahr 1929 noch vorhandenen Handwagen auf dem Perron sind so naturgetreu nachgestaltet, dass erstens die Räder drehbar, zweitens die Deichsel schwenkbar und drittens die Vorderachse beweglich sind. Ein besseres Beispiel für die Präzision der Raidt'schen Nachbildungen gibt es nicht. Zu jener Zeit wurden ja nicht nur die der Bahn anvertrauten Gepäckstücke von Hand und mittels zwei- oder vierrädriger Karren manipuliert, sondern im blühenden Badekurort stand auch eine ganze Reihe von Hotelportiers samt ihren Fahrzeugen den ankommenden Reisenden hilfsbereit zur Verfügung.

Städtebaulich prägende Anlage

Der Güterschuppen des Bahnhofs Baden existierte von 1912 bis 1998. Er war der grösste und luxuriöseste weit über die Kantonsgrenzen hinaus. Auf der Gleisseite waren fünf, auf der Strassenseite sechs Tore vorhanden, die den Umschlag der Stückgüter ermöglichten. Eine Hälfte war für die Empfangs-, die zweite für Versandgüter bezeichnet. Im Norden schlossen sich ein überdeckter Lagerplatz und eine offene Rampe an, welche bekanntlich bis zu deren Abbruch für den Verlad von Altpapier benützbar blieb. Als Seltenheit wurde hier neben den üblichen Längsrampen der Kundschaft auch eine Kopf- oder Stirnrampe (beispielsweise für den Verlad von Fahrzeugen) angeboten.
In betrieblicher Hinsicht war Baden damals stark in die Nebenlinien nach Bülach (über die alte Bahnlinie Otelfingen-Niederglatt, aufgehoben 1937), Koblenz und Oerlikon eingebunden. Alte Anschriften, die ebenfalls liebevoll im Modell rekonstruiert wurden, weisen auf die Abfahrt dieser Züge auf «Perron II» hin. An der Stelle des heutigen Postverladegleises waren Abstellgleise und Wagenremisen vorhanden.

Alles reinste Handarbeit

Doch zurü;ck zum städtebaulich interessanten Komplex der damaligen «Güterexpedition». Seite Wettingen befanden sich die Büroräume und eine darüber liegende Wohnung. Das alles hat Jürg Raidt nach alten Fotos und Plänen, eigener Erfahrung und Erinnerung mit allergrösster Sorgfalt im modellbahnerisch richtigen HO-Massstab 1:87 nachgebildet. Dabei kommen überraschenderweise keine Maschinen zum Einsatz. Wichtigste Arbeitsgeräte sind - neben guten Augen und einer ruhigen Hand - ein gewšhnliches Bastlermesser, ein Lineal und eine Pinzette. Denn ein vielleicht 12 cm grosser Ring, wie er strassenseitig zum Anbinden der Pferde mehrfach vorhanden war, kann in dieser Verkleinerung nicht mehr mit den Fingern gehalten werden, er misst nur noch 1,3 Millimeter. Wichtiges Detail: Der Ring aus der Zeit der Fuhrwerke ist auch in dieser Verkleinerung noch beweglich und könnte seine Funktion selbst für Modellpferdchen erfüllen.

Zustand von 1929

Nicht ohne Gründe ist für Jürg Raidt das Jahr 1929 ausschlaggebend. Zu jenem Zeitpunkt bestand (noch) das Chalet Berna am Standort der heutigen Post. Für Fussgänger war dieÜberquerung der Gleisanlagen ins Güterschuppen-Areal über eine eiserne Passarelle möglich, welche sogar im Mittelteil durch das Gebäude führte. Auch dieses längst verschwundene Stück ist nach alten Plänen und Bildern als Modell in feinster Detaillierung bereits erstellt. Anderseits war die Bahnhofanlage von 1912 noch vollständig erhalten und ermöglicht eine gute Darstellung des damals noch lebhaften Badener Güterverkehrs.
Zu diesem Zeitpunkt lag die Elektrifizierung der Hauptstrecke Zürich-Olten erst vier Jahre zurück, und die Nebenstrecken nach Bülach, Oerlikon und Koblenz wurden noch mit Dampf betrieben. Das ermöglicht auch im Modell eine vielseitige und abwechslungsreiche Zugbildung. Erinnert sei nur an den fahrplanmässigen Einsatz des so genannten «Arbeiter-Pullman», welcher damals - fast als Vorbote der heutigen S-Bahn - im Limmattal verkehrte. Die Zusammensetzung als Pendelzug aus kurzgekuppelten Doppel-Zweiachswagen war bahnbrechend für jene Zeit, ebenso die halbautomatische Türschliessung. Für einen schnellen Fahrgastwechsel wurden überdurchschnittlich viele Türen - auch in der Wagenmitte - eingebaut. Der blau-weisse Anstrich bei den beiden Prototypen verschwand um 1939 wieder; die Züge blieben aber bis 1960 auf der rechten Zürichsee-Linie im Einsatz.

Hoch gesteckte Ziele

Jürg Raidt möchte mit seinem Hobby nicht nur das Andenken an die Zeit von 1929 bewahren. Er beschäftigt sich intensiv mit den baulichen Veränderungen von damals bis heute, besonders aus architektur- und kulturhistorischer Sicht. Seine Arbeitsweise zwar ohne Maschinen, dafür mit alltäglichen Abfallprodukten ist auch ein Protest zum heutigen, meist kommerziellen Modellbau oder -kauf. Das nacherlebte Bahnhofmodell will er als eine Art dreidimensionaler Zeitaufnahme verstehen. Ferner ist es sein Anliegen, dem Eisenbahn-Modellbau offenbar üblichen, oft belächelten Image entgegenzuwirken. Warum wird immer nur der Modellbahner spöttisch mit dem «Kind im Manne» verglichen? Mit der nun erreichten Rekonstruktion des Bahn-Güterschuppens ist jedoch der Modellbauer Raidt längst nicht zufrieden. Als nächstes Projekt hat er bereits den Bau der beiden Stellwerke in Angriff genommen, welche auf Perron 1 Seite Wettingen (Höhe Kino Sterk) und auf Perron 2 Seite Turgi (Lage des heutigen, allerdings nie benützten Postliftes bei den Parkplätzen der Postfachanlage) aufgestellt waren und ihren Dienst von 1912 bis 1961 versahen. Wer erinnert sich beispielsweise noch daran, dass die beiden Häuschen ganz unterschiedliche Ansichten hatten und nur das Stellwerk I (Seite Wettingen) eine Aussentreppe besass?

Jetzt noch Stellwerk und Gleise

Der vorläufig letzte Schritt zur Modellbahnanlage, die allerdings nie ganz fertig wird, besteht im fachgerechten und massstabgetreuen Nachbau der Gleis- und Weichenanlage im Bereich zwischen altem Schlossbergtunnel und der Kurve bei der ehemaligen BBC-Speditionshalle. Dazu sind noch rund 200 m Gleise zu verlegen und 43 Weichen einzubauen. Als Endziel sieht der engagierte Badener Eisenbahnfreund die gesamte Bahnhofanlage samt stilreinen, fahrenden Zügen, epochengerechten Lokomotiven und nachgestellten benachbarten Häuserpartien im Rahmen einer šffentlichen Besichtigungsmöglichkeit. Mindestens zur Fertigstellung der Badener Bahnhofumbauten im Herbst 2001 sollte dies möglich werden. Sozusagen als Nebenprodukt seiner Beschäftigung mit den Badener Bahnanlagen wird Jürg Raidt voraussichtlich die Geschichte des Bahnhofes in Buchform erscheinen lassen. Eine länger dauernde Ausstellung seiner Modellbauten - zusammen mit weitern historischen Bahnutensilien - wird gegenwärtig noch geprüft.

 

   

HomeBaustelle Aktuell Archiv 1 • Archiv 2BesucherarchivGeschichteForum GewinnerKontakt

Idee & Realisation: © 1999-2000 Ideen Werft22 GmbH Baden