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Das massstabgetreue Modell des Badener Bahnhofes von
Jürg Raidt, Baden
Fotos: Alex Spichale, Baden
Güterschuppen exakt nachkonstruiert Bahnhof Baden
Ein überzeugter Modellbauer rekonstruiert die Badener Eisenbahn-Vergangenheit
Er ist Rechtsanwalt und ein Eisenbahnnarr. Jetzt ist sein
neustes Werk vollendet: In perfektem Eigenbau hat er den im September
1998 abgebrochenen Güterschuppens im modellbahngerecht verkleinerten
Massstab von 1:87 nachgebaut und damit sein mehrteilige Sammlung der Badener
Bahnhofgebäude ergänzt.
Ruedi Wanner (Aargauer Zeitung, 15.2.2000)
Dem renovierten gelben Haus an der Seminarstrasse, an der
Stadtgrenze Baden/Wettingen gelegen, sieht man nicht an, was sich drinnen
tut. Zwar weist der Torbogen, der aus dem Abbruch des Bahnhofes Turgi
stammt, bereits im Garten auf einen historisch interessierten Eisenbahnfreund
hin. Weitere Überraschungen folgen auf Schritt und Tritt. Über
die erfolgreiche Rekonstruktion des Bahnhofes Baden - ältester Bahnhof
der Schweiz - wurde bereits früher berichtet. Nach dreijähriger
intensiver Aufbauarbeit ist nun kürzlich auch das Modell des Güterschuppens
fertig erstellt. Die dazu verwendeten Arbeitsstunden dürfen für
die Ausübung eines Hobbys nicht gerechnet werden, sind aber bestimmt
sehr zahlreich. Umgekehrt dazu verhalten sich die Materialkosten, denn
vorwiegend und so weit als immer möglich wird Abfallmaterial aller
Art verwendet.
Bahnhof mit «Abtritt»
Die gesamte projektierte Modellanlage des Bahnhofes misst
in der Längenausdehnung rund neun Meter. Sie zeigt den Zustand des
Badener Bahnhofes, wie er mehrheitlich bis 1970 (Umbau des Bahnhofplatzes
samt zweistöckigem Parkhaus und Metro Shop) zu sehen war. Seit der
letzten Präsentation wurde noch das kleine Gebäude mit dem so
genannten «Abtritt» modellmässig angefertigt. Es befand
sich nördlich des eigentlichen Bahnhofs an der Stelle des heutigen
SBB-Billettverkaufs-Provisoriums. Im Untergeschoss war die Waschküche
für die beiden Dienstwohnungen (Bahnhofvorstand und sein Stellvertreter)
untergebracht - ein Zustand, den sich heutzutags Wohnungsmieter nicht
mehr bieten liessen. Bemerkenswert ist die filigrane Gestaltung der Geländer
zu den Treppen der Unterführungen, auch hier massstabgetreu und perfekt
nachgebildet aus dem Draht eines alten Velodynamos. Es ist zu hoffen,
dass der engagierte Badener Bahnhof-Bastler wenigstens teilweise in den
Besitz des Original-Geländers kommen darf, wie ihm dies seinerzeit
von der Bauherrschaft versprochen wurde.
Auch die im Bezugsjahr 1929 noch vorhandenen Handwagen auf dem Perron
sind so naturgetreu nachgestaltet, dass erstens die Räder drehbar,
zweitens die Deichsel schwenkbar und drittens die Vorderachse beweglich
sind. Ein besseres Beispiel für die Präzision der Raidt'schen
Nachbildungen gibt es nicht. Zu jener Zeit wurden ja nicht nur die der
Bahn anvertrauten Gepäckstücke von Hand und mittels zwei- oder
vierrädriger Karren manipuliert, sondern im blühenden Badekurort
stand auch eine ganze Reihe von Hotelportiers samt ihren Fahrzeugen den
ankommenden Reisenden hilfsbereit zur Verfügung.
Städtebaulich prägende Anlage
Der Güterschuppen des Bahnhofs Baden existierte von
1912 bis 1998. Er war der grösste und luxuriöseste weit über
die Kantonsgrenzen hinaus. Auf der Gleisseite waren fünf, auf der
Strassenseite sechs Tore vorhanden, die den Umschlag der Stückgüter
ermöglichten. Eine Hälfte war für die Empfangs-, die zweite
für Versandgüter bezeichnet. Im Norden schlossen sich ein überdeckter
Lagerplatz und eine offene Rampe an, welche bekanntlich bis zu deren Abbruch
für den Verlad von Altpapier benützbar blieb. Als Seltenheit
wurde hier neben den üblichen Längsrampen der Kundschaft auch
eine Kopf- oder Stirnrampe (beispielsweise für den Verlad von Fahrzeugen)
angeboten.
In betrieblicher Hinsicht war Baden damals stark in die Nebenlinien nach
Bülach (über die alte Bahnlinie Otelfingen-Niederglatt, aufgehoben
1937), Koblenz und Oerlikon eingebunden. Alte Anschriften, die ebenfalls
liebevoll im Modell rekonstruiert wurden, weisen auf die Abfahrt dieser
Züge auf «Perron II» hin. An der Stelle des heutigen
Postverladegleises waren Abstellgleise und Wagenremisen vorhanden.
Alles reinste Handarbeit
Doch zurü;ck zum städtebaulich interessanten Komplex
der damaligen «Güterexpedition». Seite Wettingen befanden
sich die Büroräume und eine darüber liegende Wohnung. Das
alles hat Jürg Raidt nach alten Fotos und Plänen, eigener Erfahrung
und Erinnerung mit allergrösster Sorgfalt im modellbahnerisch richtigen
HO-Massstab 1:87 nachgebildet. Dabei kommen überraschenderweise keine
Maschinen zum Einsatz. Wichtigste Arbeitsgeräte sind - neben guten
Augen und einer ruhigen Hand - ein gewšhnliches Bastlermesser, ein Lineal
und eine Pinzette. Denn ein vielleicht 12 cm grosser Ring, wie er strassenseitig
zum Anbinden der Pferde mehrfach vorhanden war, kann in dieser Verkleinerung
nicht mehr mit den Fingern gehalten werden, er misst nur noch 1,3 Millimeter.
Wichtiges Detail: Der Ring aus der Zeit der Fuhrwerke ist auch in dieser
Verkleinerung noch beweglich und könnte seine Funktion selbst für
Modellpferdchen erfüllen.
Zustand von 1929
Nicht ohne Gründe ist für Jürg Raidt das
Jahr 1929 ausschlaggebend. Zu jenem Zeitpunkt bestand (noch) das Chalet
Berna am Standort der heutigen Post. Für Fussgänger war dieÜberquerung
der Gleisanlagen ins Güterschuppen-Areal über eine eiserne Passarelle
möglich, welche sogar im Mittelteil durch das Gebäude führte.
Auch dieses längst verschwundene Stück ist nach alten Plänen
und Bildern als Modell in feinster Detaillierung bereits erstellt. Anderseits
war die Bahnhofanlage von 1912 noch vollständig erhalten und ermöglicht
eine gute Darstellung des damals noch lebhaften Badener Güterverkehrs.
Zu diesem Zeitpunkt lag die Elektrifizierung der Hauptstrecke Zürich-Olten
erst vier Jahre zurück, und die Nebenstrecken nach Bülach,
Oerlikon und Koblenz wurden noch mit Dampf betrieben. Das ermöglicht
auch im Modell eine vielseitige und abwechslungsreiche Zugbildung. Erinnert
sei nur an den fahrplanmässigen Einsatz des so genannten «Arbeiter-Pullman»,
welcher damals - fast als Vorbote der heutigen S-Bahn - im Limmattal verkehrte.
Die Zusammensetzung als Pendelzug aus kurzgekuppelten Doppel-Zweiachswagen
war bahnbrechend für jene Zeit, ebenso die halbautomatische Türschliessung.
Für einen schnellen Fahrgastwechsel wurden überdurchschnittlich
viele Türen - auch in der Wagenmitte - eingebaut. Der blau-weisse
Anstrich bei den beiden Prototypen verschwand um 1939 wieder; die Züge
blieben aber bis 1960 auf der rechten Zürichsee-Linie im Einsatz.
Hoch gesteckte Ziele
Jürg Raidt möchte mit seinem Hobby nicht nur das
Andenken an die Zeit von 1929 bewahren. Er beschäftigt sich intensiv
mit den baulichen Veränderungen von damals bis heute, besonders aus
architektur- und kulturhistorischer Sicht. Seine Arbeitsweise zwar ohne
Maschinen, dafür mit alltäglichen Abfallprodukten ist auch ein
Protest zum heutigen, meist kommerziellen Modellbau oder -kauf. Das nacherlebte
Bahnhofmodell will er als eine Art dreidimensionaler Zeitaufnahme verstehen.
Ferner ist es sein Anliegen, dem Eisenbahn-Modellbau offenbar üblichen,
oft belächelten Image entgegenzuwirken. Warum wird immer nur der
Modellbahner spöttisch mit dem «Kind im Manne» verglichen?
Mit der nun erreichten Rekonstruktion des Bahn-Güterschuppens ist
jedoch der Modellbauer Raidt längst nicht zufrieden. Als nächstes
Projekt hat er bereits den Bau der beiden Stellwerke in Angriff genommen,
welche auf Perron 1 Seite Wettingen (Höhe Kino Sterk) und auf Perron
2 Seite Turgi (Lage des heutigen, allerdings nie benützten Postliftes
bei den Parkplätzen der Postfachanlage) aufgestellt waren und ihren
Dienst von 1912 bis 1961 versahen. Wer erinnert sich beispielsweise noch
daran, dass die beiden Häuschen ganz unterschiedliche Ansichten hatten
und nur das Stellwerk I (Seite Wettingen) eine Aussentreppe besass?
Jetzt noch Stellwerk und Gleise
Der vorläufig letzte Schritt zur Modellbahnanlage,
die allerdings nie ganz fertig wird, besteht im fachgerechten und massstabgetreuen
Nachbau der Gleis- und Weichenanlage im Bereich zwischen altem Schlossbergtunnel
und der Kurve bei der ehemaligen BBC-Speditionshalle. Dazu sind noch rund
200 m Gleise zu verlegen und 43 Weichen einzubauen. Als Endziel sieht
der engagierte Badener Eisenbahnfreund die gesamte Bahnhofanlage samt
stilreinen, fahrenden Zügen, epochengerechten Lokomotiven und nachgestellten
benachbarten Häuserpartien im Rahmen einer šffentlichen Besichtigungsmöglichkeit.
Mindestens zur Fertigstellung der Badener Bahnhofumbauten im Herbst 2001
sollte dies möglich werden. Sozusagen als Nebenprodukt seiner Beschäftigung
mit den Badener Bahnanlagen wird Jürg Raidt voraussichtlich die Geschichte
des Bahnhofes in Buchform erscheinen lassen. Eine länger dauernde
Ausstellung seiner Modellbauten - zusammen mit weitern historischen Bahnutensilien
- wird gegenwärtig noch geprüft.
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